9. Kapitel: Der Abschied

Sie erwachte erst aus ihrer leichten Trance, als sich hinter ihr jemand laut räusperte. Erschrocken drehte sie sich um und sah Raoul am Türrahmen stehen. Sie wollte aufspringen und zu ihm laufen. Doch etwas in seinem Blick sagte ihr "Lass es sein".
Es war, als würde er durch sie hindurch sehen, so als wäre sie Luft. Verwirrt blieb sie sitzen und dachte daran, wie lange er sie wohl schon beobachtet hatte.
Noch an der Tür zündete er sich eine Zigarette an, kam langsam auf sie zu. Im ersten Moment glaubte sie dann doch, er würde sie jetzt in seine Arme nehmen. Doch schon im nächsten Augenblick, als er sich still neben sie setzte, wurde sie bitter enttäuscht. Weder streckte er seine Hände nach ihr aus, noch sah er sie an. Er saß einfach schweigend, den Rauch seiner Zigarette tief einatmend da und sagte keinen Ton.

"Was soll das, Kleines?", hörte sie ihn plötzlich sagen.
Was soll was? Diese Frage stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, als sie ihn ansah. "Du enttäuscht mich sehr."
"Wie kann ich dich enttäuscht haben, wo ich doch alles für dich getan habe?", fragte sie leise.
"Weil du mir nicht vertraust", schrie er sie an und schlug ihr so fest ins Gesicht, dass sie nach hinten taumelte. Nur unter Tränen brachte sie ihr: "Doch ich hab dir vertraut" hervor.
Raoul stand auf und beugte sich über sie. Zuerst sah es so aus ,als würde er sie nochmals schlagen wollen als er seine Hand erhob, doch dann ließ er sie abrupt fallen.
Schweigend ging er hinüber zur Bar, nahm zwei Gläser und schenkte sich und Simon einen Whisky ein. Kam dann ebenso schweigsam zurück, reichte Simon sein Glas und trank seines in einem Zug aus. Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund und beugte sich erneut über Susanne.
Kaum mehr als ein Flüstern konnte man die Lautstärke bezeichnen, zu der er mit ihr sprach.

"Wenn du mir völlig vertraut hättest, dann wäre ich jetzt nicht hier." Und dann donnerten seine Worte wie scharfe Pfeile auf sie herab.
"Doch stattdessen muss ich sehen, wie du dich ihm verweigerst. Und das, obwohl du mir bedingungslos dienen wolltest, nach allen Regeln, die ich für nötig halte. Nennst du das etwa Hingabe und Vertrauen. Ich sehe darin nur Ungehorsam mir gegenüber", schrie er zornig.
Susanne saß da und zitterte am ganzen Körper. Nur allmählich drangen seine Worte tief in ihr Bewusstsein. Stück für Stück setzten ihre Gedanken die verschiedenen Mosaikteile zusammen, bis sich ein Ganzes ergab. Und dann, aus der Lethargie der vergangenen Stunden erwachend, hörte sie sich selber sagen: "Das, was du von mir verlangst, ist kein Vertrauen, Raoul. Was du willst ist, dass ich mich für dich zur Hure mache!"
"Du bist mein Eigentum. Ich kann alles von dir verlangen. Einschließlich, dass du dich zur Hure machst und Simon oder sonst wem so lange dienst, wie ich es will", schrie er aufgebracht und wütend zurück.

Ihre Reaktion kam für ihn völlig überraschend. Nicht im Entferntesten hatte er nach diesem Wochenende damit gerechnet, dass sie noch zu so etwas fähig war. Und doch stand sie auf und stellte sich vor ihn hin.
In ihrem Gesicht war weder Furcht, noch etwas anderes zu sehen. Mit ruhigen Worten brachte sie das hervor, was sie eben noch in Gedanken klar für sich erkannt hatte.

"Nein, Raoul. Ich liebe dich und will dir dienen, aber nicht zu diesem Preis, den du von mir verlangst."
Erst nach einer Weile fragte er tonlos: "Du weißt, was dein Nein bedeutet."
"Ich kann nicht anders, trotz meiner Liebe zu dir", sagte sie leise.
Simon, der die ganze Zeit ruhig im Stuhl gesessen hatte, blickte von einem zum anderen. Gespannt wartend, wie sich Raoul entscheiden würde.


Quälend lang vergingen die Minuten, in denen Susanne ihrer Liebe willen, die sie nach wie vor für Raoul empfand, darum bangte, er möge sie jetzt nach ihrem Nein nicht einfach verstoßen. Und als er ihr kurz über die Wange strich und sie beinah zärtlich ansah, keimte ein Funken Hoffnung auf, der im gleichen Moment durch seine Worte zerstört zu wurde.
"Ein Nein kann und will ich nicht akzeptieren." Dann wandte er sich an Simon: "Bitte sei so gut und schreibe ihr für die Unannehmlichkeiten einen Scheck aus."
"Raoul, bitte versteh doch", bat sie ihn flehentlich, als er sich entschlossen umdrehte.
Mit einer Hand versuchte sie ihn vom Gehen abzuhalten. "Bitte, lass es so nicht enden", hörte sie sich leise sagen und doch schienen ihre Worte an ihm ab zu prallen. Auch als sie schluchzend auf den Sessel sank, drehte er sich nicht einmal zu ihr um.

Erst an der Tür blieb er stehen und ohne dass er sie ansah, hörte sie seine letzten Worte: "Morgen gegen 10 Uhr wird Steven dir deine Koffer bringen. Dann wirst du ihm das Armband aushändigen und bist frei. Das Geld wirst du brauchen für Unterkunft und die erste Zeit, bist du wieder neue Arbeit gefunden hast." Dann ging er hinaus und ließ Susanne alleine.
Sie hörte, wie sich seine Schritte immer weiter entfernten und doch konnte sie es nicht glauben.

Simon tippte ihr an die Schulter und hielt ihr den Scheck entgegen. Sprachlos sah sie ihn an, als er ihr den Scheck in die Hand legte.
"Ich denke, die Summe wird reichen."
Dann ging auch er und ließ sie allein.
'Raoul, ich gehöre doch dir!', formten lautlos ihre Lippen. Und selbst, wenn sie es hinaus geschrieen hätte, es gab Niemanden, der es noch hören wollte.


Epilog

Das leichte Knarren der Tür schrecke Susanne aus ihren Gedanken auf.
Wortlos stellte Steven ihren alten Lederkoffer auf den Boden und kam auf sie zu.
Schweigsam und mit zitternden Händen reichte sie ihm das Armband. Dann nahm sie ihren Mantel, hob den Koffer hoch und ging langsam zur Tür.
"Nur noch einen allerletzten Blick", sagte sie leise zu Steven, der hinter ihr stand. Sie drehte sich um, betrachtet stumm das Zimmer.
Wie einfach es doch war, sich hier zu Hause zu fühlen und wie schwer es ihr jetzt fiel zu gehen, dachte sie und hörte sich selber leise fragen:
"Hätte ich eine andere Entscheidung treffen können?"

Wortlos nahm Steven ihr den Koffer ab und ging an ihr vorbei.
Bis er ihr draußen die Wagentür des Taxis aufhielt und sie einstieg, sprach er kein einziges Wort mit ihr. Erst dann hörte sie ihn plötzlich sagen.
"Du hättest", sagte er ruhig "Aber dann hättest du auch deine Seele verkauft."
Noch ehe sie etwas antworten konnte, schloss er die Tür und ging ins Haus zurück. Und noch bevor das Taxi die nächste Ecke erreichte, wusste sie das Steven Recht hatte.


ENDE

Du bist nicht angemeldet.
 Einloggen / Registrieren