Die nicht-kommerzielle Szene in Deutschland, oder: wie alles anfing

Beim Anblick des heutigen Geschehens in der Szene, der Vielfalt und einer gewissen Selbstverständlichkeit, die inzwischen eingekehrt ist, mag man es kaum glauben, dass BDSM noch vor 25 Jahren eine echte Sensation war. Entsprechend verschworen die Gemeinschaften, entsprechend schwierig der Zugang, entsprechend verworren das Bild in der Allgemeinheit.

Werfen wir also einen Blick zurück in das Jahr 1980. Der kalte Krieg war auf dem Höhepunkt, die Russen an Weihnachten 1979 gerade in Afghanistan einmarschiert und die Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft sollten noch bis zum 20.1.1981 Gefangene der islamischen Revolution bleiben, die Ayatollah Khomeni im Jahr zuvor im Iran errichtet hatte. Deutschland (West) hatte sich in den 1970er Jahren einigermaßen sexuell emanzipiert, es gab Beate Uhse Shops allerorten und im (wohlgemerkt öffentlich-rechtlichen) Fernsehen manchmal den einen oder anderen Softporno. Die Bauer-Presse (Quick und Co., inzwischen insolvent, eingestellt oder von anderen Verlagen übernommen) brachte gelegentlich den einen oder anderen Schauerreport über das verbotene Treiben der sadomasochistischen Szene, die damals noch nicht so hieß, sondern je nach Gusto als „Sadistenclubs“ oder was auch immer bezeichnet wurde. In Hamburg St. Pauli gab es das „Salambo“ und ich muss euch sagen: die Jungs und Mädels ließen damals so richtig die Sau raus, denn es gab etwas noch nicht, was heute unsere Gesellschaft vollständig durchdrungen hat, und zwar in allen Lebensbereichen: die politische Korrektheit.

1980 also startet meine sexuelle Bewusstwerdung, es war das Jahr, in dem ich 18 und damit volljährig wurde und es war das Jahr, in dem in Österreich (und vermutlich auch Deutschland) der Verkauf eines Magazins begann, das meine sexuellen Eindrücke in die menschliche Rasse wesentlich geprägt hat: „Penthouse Variations“, ein kleines DIN A5 Magazin ohne Bilder, dafür mit für mich (und vermutlich jeden anderen Sadomasochisten) umso aufregenderen Geschichten. Die Ausgabe vom Februar 1980 nannte sich „Anal Pleasures“ mit einem in Lack gekleideten Mädel auf einer Suzuki auf dem Cover, welches meine Vorstellungen von korrektem Fetish-Outfit lange Zeit prägen sollte…;) Der Schwerpunkt dieser Ausgabe war, wie unschwer zu erraten sein dürfte, die Vergnügungen, welche sich aus der analen Penetration ergeben. Nebenbei konnte ich meine Englischkenntnisse mit einer Reihe von Slang-Worten aufbessern, die im damaligen Englischunterricht definitiv nicht unterrichtet wurden.

Mir war seit ich denken konnte klar, dass meine sexuellen Neigungen etwas mit dem zu tun haben mussten, was mehr oder weniger unter der Decke als „SM“ bezeichnet wurde und ich war sehr erleichtert, als ich feststellen durfte, dass es erstens mehr von meiner Sorte gab und zweitens Geschichten veröffentlich wurden, die entweder mein Gefühlsleben abbildeten oder mir Rat und Hilfestellung bei sexuellen Problemstellungen geben konnten, die sich für mich automatisch ergaben, denn wie selbstverständlich war meine Sexualität von Freundin Nr. 1 an eine BDSM-Sexualität. Es fällt mir von daher immer noch schwer (auch nach über 30 Jahren) zu verstehen, wie manche Leute ihre Sehnsüchte und Neigungen über viele Jahre vor ihrer Umgebung und vor allem ihren Partnern geheim halten können, anstatt gemeinsam nach Wegen zu suchen, diese Neigungen in ein für beide Seiten befriedigendes Sexualleben umzuwandeln.

So startete ich also in das aufregendste Jahrzehnt des 20 Jahrhunderts, die 1980er Jahre. Ich weiß heute, dass von etwa 1978 bis 1983 unglaublich viel ab ging, was Szene bzw. Sex im Allgemeinen betrifft. AIDS war noch kein Thema und die Leute vögelten munter durcheinander, was das Zeug hielt, aber ich war noch zu jung, um mich damals aktiv in diese Szene einzumischen. Mein Privat-Leben könnte man durchaus als gesittet bezeichnen, denn die ersten 12 Jahre meines Sexuallebens verbrachte ich mit nur 4 Freundinnen, was sicher nicht gerade für einen oftmaligen Wechsel der Sexualpartner spricht.

Zum Ende des Jahres 1990 aber dachte ich, es wäre Zeit, mein Beziehungsleben gesamt umzustellen auf einen SM-Kontext und trennte mich von meiner damaligen Freundin, weil ich dachte, sie hätte kein Verständnis für meine SM-Allüren. Ein schwerer Fehler, wie sich hinterher herausstellen sollte, denn erstens hatte sie dieses Verständnis und zweitens ging das, was wir wie selbstverständlich schon seit Jahren miteinander praktizierten, weit über das hinaus, was der Feld-, Wald- und Wiesen-SMer jener Jahre so als normal zu betrachten gewillt war. Die „boring Nineties“ begann ich also damit, dass ich mich zum ersten Mal auf eine Sklavin einließ, die ihren Herrn mit einer Zeitungsanzeige suchte und die ich nach einigen Verwirrungen, die Stoff für ca. 3-4 Folgen „Rote Rosen“ abgeben würden, endlich am Düsseldorfer Hauptbahnhof kennen lernen konnte. Wir blieben für genau 360 Tage ein Paar. Ich war inzwischen nach Deutschland (West) übersiedelt und stellte fest, dass es offenbar tatsächlich Unterschiede zwischen den Nationen zu geben scheint, denn ich kam mit dieser (deutschen) Frau weniger gut klar als anfangs erwartet. Die Penthouse Variations hatten Mitte der 1980er Jahre damit begonnen, auch Bildchen in ihrem Magazin abzudrucken und der redaktionelle Teil war zusehends verflacht, weshalb ich schon lange nichts mehr aus dieser Quelle gekauft hatte. Aus einem Impuls heraus beschloss ich jedenfalls, am 19.12.1991 zum ersten Mal eine Gesprächsgruppe zu besuchen, bei der sich SM Interessierte in Art eines Stammtisches austauschen können, und die damals seit einigen Monaten in der Essener Zeche Carl stattfand. Und damit begann meine Zeit in der deutschen (nicht-kommerziellen) SM-Szene. Dieses erste Treffen im Dezember 1991 war wie eine Initialzündung und mir sollten 5 sehr aufregende Jahre bevorstehen.

Nachdem sich die damalige nichtkommerzielle deutsche Szene am ersten Märzwochenende 1992 in einem Essener Landschulheim zu einem Wochenendseminar getroffen hatte (inklusive der damals wie heute üblichen Weinkrämpfe wegen irgendwelcher Beziehungsfragen) wurde bereits am Freitag, den 13. März 1992 in meiner Wuppertaler Wohnung nach einer ausgiebigen Kässpätzle-Partie von 6 Mädels und 5 Jungs der Verein „Smart Rhein-Ruhr e.V.“ gegründet. Warum wohl?, fragt sich der geneigte Betrachter vielleicht, und dazu muss ich erklären, wie damals die Landschaft für einen Menschen mit Interesse an BDSM aussah: es gab diese Sexualität durchaus, allerdings nur in einem kommerziellen Zusammenhang. Sessions konnte man haben, wenn man dazu bereit war, mehr oder weniger viele Talerchen auf den Tisch eines dafür spezialisierten Hauses zu legen, um von einer Domina versohlt zu werden oder sich an einer Mietsklavin auslassen zu können. Fetischklamotten gab es auch, allerdings nur mit einem erheblichen Porno-Zuschlag in den dunklen Ecken von darauf spezialisierten Sexshops oder von Versandhändlern, die sich auf Fetischklamotten spezialisiert hatten (ich sage nur LGS, Kunzmann in Pforzheim etc.). Piercing war noch nahezu unbekannt und galt als primitiver Stammesritus von zurückgebliebenen Kulturen, von anderen Praktiken der Körper-Modifizierer ganz zu schweigen. Rasierte Genitalien galten als Spezialität von Prostituierten, die darauf mit dem Wort „glatt“ hinwiesen. „Normale“ Bürgerskinder wie ich und andere mussten feststellen, dass BDSM offenbar etwas unter der Schmuddel-Decke war und der Zugang dazu nur gegen hohe Gebühren möglich. Das wollten wir ändern und eine ausdrücklich nicht-kommerzielle sadomasochistische Subkultur gründen.

Und deshalb gründeten wir den Verein SMart Rhein Ruhr e. V.

Bald stellte sich die Frage nach der ersten Fete und auch hier muss man wieder sagen: das damalige Angebot war eher begrenzt – um es freundlich zu sagen. Im Mannheimer „Jails“, einem von der dortigen Schwulen-Subkultur betriebenen Laden gab es regelmäßige SM Parties, und im Hamburger „Molotow“ (ein Laden, der wegen seiner katastrophalen Sicherheitsmängel heute nie und nimmer eine Betriebsgenehmigung bekommen würde) gab es seit kurzem eine SM-Fetenreihe. So pendelte die Subkultur also munter zwischen Hamburg und Mannheim hin und her, was ihren Protagonisten den Spitznamen „Hamburg-Mannheimer“ einbrachte. Da ich meine Klappe schlecht halten konnte und gelegentlich durch praktikable Vorschläge auffiel, wurde ich später des Jahres zum (Achtung, haltet euch fest) Ersten Vorsitzenden dieses Vereins gewählt (Zweiter zweiter Vorsitzender war ich als Quoten-Mann schon zuvor und die Position schimpfte sich wirklich zweiter zweiter, und nicht etwa Dritter Vorsitzender) und durfte in dieser Funktion mein Gesicht in diverse Kameras und vor die Mikrofone einer interessierten Öffentlichkeit halten. Das tat ich mit meinem Namen und mit diesem stand und stehe ich für unsere Sache. Was wie zu erwarten sein dürfte, einige interne Querelen auslöste zwischen „Offiziellen“ (also Leuten wie mir, die mit ihrer Person für etwas stehen) und „Anonymen“ (also Leuten, die ihre Position lieber mit einem putzigen Nickname unter die Leute bringen). Immerhin aber konnte ich den Verein dazu bewegen, seine 2. Fete (an die erste erinnere ich mich dank eines gnädigen Mantel des Vergessens nicht mehr) in einem Wasserschloss im Ruhrgebiet abzuhalten. Und zwar nicht als Back- und Kuchenverein, sondern eben als SMart Rhein Ruhr e.V., ganz offiziell angemeldet beim Kreisamt des zuständigen Landkreises Unna als festliche Abendveranstaltung für die deutsche SM Szene.

Nachdem ich nach etwa anderthalb Jahren Vorsitzenden-Tätigkeit als Vorsitzender zurückgetreten wurde, veranstaltete ich ab Dezember 1993 diese Fete eben privat und ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass sich ältere Szenemitglieder mit großem Wohlwollen an diese Fetenreihe mit dem Namen „Soiree im Wasserschloss“ zurück erinnern. Im Februar 1995 war ich mit meiner damaligen Freundin auf ein verlängertes Wochenende nach New York geflogen und hatte in den Clubs von Lower Manhattan die Idee der Sklavenversteigerung kennen gelernt. Sofort kam mir ein Gedanke, wie man dieses Konzept auf den deutschen Markt übertragen könnte und ich rief noch aus New York meinen damaligen noch nicht Veranstaltungspartner aber Kumpel Michael an, um ihn mit der Herstellung von Spielgeld zu beauftragen. Dieses Spielgeld mit dem sinnigen Namen „Schloss-Mark“, welches sich dankenswerterweise zu „SM“ abkürzt, konnten interessierte Teilnehmer an der Bar mit ihrem Getränkeumsatz erwerben und später für die Ersteigerung von willigen Sklaven und Sklavinnen verwenden. Die nächste Fete sollte also am 25.2.1995 steigen, ein Datum, was bei mir als unschuldigem Österreicher überhaupt keine Hintergedanken auslöste, jeder Deutschlandkenner hätte mir aber sagen können, dass an einem Karnevalswochenende viele Leute, selbst schwerstens SM interessierte mögliche Besucher, etwas anderes zu tun hätten. Und so war es dann auch: ganze 104 zahlende Gäste feierten zwar eine rauschen SM-Party mit einem Rahmenprogramm, das für die nächsten Jahre den Standard setzen sollte, aber für mich als Veranstalter blieben am Ende über 6.000,- Mark Verlust übrig. Als ich gerade meinen Blues kultivieren wollte, trat ein sichtlich euphorisierter Michael an mich heran (der bereits erwähnte noch nicht Mitveranstalter) um mir zu sagen, dass er so etwas noch nicht erlebt hätte. Er machte mir den Vorschlag sich mit drei großen Scheinen an meinen Verlusten zu beteiligen und dass wir diese Fete zukünftig doch gemeinsam veranstalten sollten. So geschah es also. Netterweise hatte Michael ein sehr großes Haus mit einem wahrlich imponierenden Keller, welcher sich für eine eigene Veranstaltungsreihe anbot, die fortan unter dem Namen „Lasternacht im Gewölbekeller“ eine gewisse Berühmtheit in der Szene erlangen sollte. Denn diese Fete war tatsächlich eine Privatfete, während das Schloss ja nur vom Landkreis gemietet war. Entsprechend konnte im Keller die Sau rausgelassen werden und wir haben wirklich wenig ausgelassen.

Im Herbst 1996 schließlich sollte die ultimative Veranstaltung steigen, mit der ich meinen Ruhm über Äonen von Jahren als genitalster Fetenveranstalter ever einmeißeln wollte in die Ahnentafel der um das Wohl der deutschen SM Szene verdienten Helden der Arbeit, auf dass künftige Generationen von Perversen mit steter Ehrfurcht meinen Namen auf ihrer gepiercten Zunge trügen: der „Grand bal d’arc en ciel“, der Regenbogenball.

Das Konzept war einfach: von allem das Größte, Angst ist schließlich für die anderen, also machte sich Onkel Christoph munter ans Einkaufen. Musik zum Tanzen? Ein Tanzorchester wäre nett, ein Symphonieorchester ist besser, also Symphonieorchester. Zum Essen eine nette Tafelmusik, dazu gibt es ein Barockensemble. Um den großen Saal zu rocken, wäre eine Big Band nett, also bestellen wir eine Big Band. Damit die Leute was lernen können, lassen wir aus Japan eine Bondage-Künstlerin einfliegen. Und als festlichen Rahmen die Wuppertaler Stadthalle. Komplett, meine ich. Dazu Limousinen-Service und für den nächsten Tag den Kaiserwagen der Wuppertaler Schwebebahn zwecks Sightseeing. Die einzige Entschuldigung für diesen Wahnsinn war, dass ich bereits 1982 im Festspielhaus Bregenz (sic!) unseren Schulball veranstaltet hatte, auch diesen mit einem Symphonie-Orchester und Big Band (man will seinem Musikgeschmack ja treu bleiben), aber halt ohne Bondage-Künstlerin aus Japan,
dafür aber mit 1.200 Leuten – und die kamen zum Regenbogenball eben NICHT, weshalb mich dieser (zugegeben famose) Abend schlanke 35 Mille kostete (in Worten: Fünfunddreißigtausend Deutsche Mark), woran ich einige Jahre zu tun hatte, bis alles abbezahlt war.

Allerdings war mir Ende 1996 klar, dass ich nunmehr genug Engagement für die deutsche SM Szene gezeigt hätte und es Zeit wäre, sich ins Privatleben zurück zu ziehen. Und das tat ich dann auch. 1998 heiratete ich und bis etwa 2000 waren wir noch gemeinsam bei der einen oder anderen Fete quer Deutschland zu Gast, bis ich mich im Zuge meiner 2002 erfolgten Scheidung komplett aus der deutschen SM Szene zurück zog. Nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt kam ich anfangs 2009 wieder nach Deutschland zurück und lernte – nachdem ich über 4 Jahre überhaupt keine Freundin bzw. Beziehung mehr hatte – meine jetzige Partnerin über ein Frauenportal kennen. Inzwischen sind wir über 2 Jahre zusammen und sie war es auch, die mich wieder näher an SM heran geführt hat (nachdem ich sie schon zuvor bei ihren SM Abenteuern gecovert hatte). Mit meinen 51 Jahren muss ich sagen, dass ich sie gerne schon früher hätte kennen lernen, andererseits zählt ja nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft. Wir verstehen uns bestens und das darf gerne so bleiben. Sie hat ihre Sklaven (und vielleicht bald auch Sklavinnen) und ist mir treu ergeben und tut wirklich
alles für mich. Ja, wirklich alles. Ich habe (noch?) keine Sklaven und Sklavinnen, aber wenn ich sie hätte, würde es nichts ändern. Und das ist tröstlich, wie ich finde.

So war das beim guten alten Onkel Christoph und seinen Gehversuchen in der Szene und deshalb würde ich mich inzwischen als "entspannt pervers" bezeichnen, denn ich hatte wirklich schon einiges….

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