Den Verstand los lassen, damit die Seele fliegen kann

Mein Verstand, mein Herz und meine Lust fahren gerade Karussell und ich weiß nicht, wie ich das wieder stoppen kann.
Gut, ich will es auch gar nicht stoppen. Was hier schon seit Monaten mit mir passiert wird immer besser und besser und macht mir Lust auf mehr und mich unendlich neugierig, was um die nächste Kurve auf mich wartet.

Ich muss heute schmunzeln, wenn ich mich zurück erinnere an den ersten Abend bei meinem heutigen Mann. Als ich aus der Tür trat und dachte, ich schwebe. Ich war nicht alleine und das war auch gut so, denn bis heute habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich in meine Wohnung gekommen bin. Meine Gedanken kreisten ununterbrochen um die Zeit bei meinem zukünftigen Mann. (Ich erspare mit ab hier das "zukünftige" vor "Mann")
Darum, wie ich, vorsichtig, fast als hätte ich Angst einen Schlag zu bekommen, auf die Klingel gedrückt habe, wie der Summer ging, wir die Treppen in den ersten Stock hochstiegen. Es war ein Altbau, im Erdgeschoss nur ein leerstehendes Ladengeschäft, erst im ersten Stock war eine einzige Wohnung. Hohe Wände, alte Türen, mitten in der Innenstadt einer Kurstadt, die ich sehr mochte und mag.
Ich erinnere mich an die aller erste Sekunde, die ich in der Wohnung war. An den Geruch, an die Bilder an der Wand, die auffällige Tapete und an die beiden Peitschen, die an einer Wand hingen und sofort dafür sorgten, dass mein Herz einmal hüpfte. Ich war so nervös, dass ich kaum ein „hallo“ rausbrachte. Er war ziemlich cool. Das er sofort kein Problem damit gehabt hatte, das ich meinen besten Freund mitbringe, hat das Vertrauen wachsen lassen. Ihn kannte ich schon, wir trafen uns vorher schon einmal in einer Kneipe.
Wir nahmen Platz. Mein bester Freund und ich auf der einen weißen Ledercouch, mein Mann auf dem Rand des Glastisches. Mein bester Freund hielt problemlos einen Smalltalk aufrecht, damit mir ein paar Minuten blieben um mich zu akklimatisieren. Und mein Mann erzählte und sprach mit, als hätte auch er die Notwendigkeit erkannt. Als ich ich einigermaßen beruhigt hatte und mein Herz vor Nervosität nicht mehr drohte jeden Moment aus meiner Brust zu springen, signalisierte ich wohl beiden recht deutlich mit einer frechen Bemerkung und einen Klaps auf den Oberschenkel meines Freundes, dass ich soweit bin.
Plötzlich saß mein Mann vor mir mit einem Rohrstock in der Hand. Wo kam der her? An der Wand hingen immer noch die neunschwänzige und die Bullwhip.
Er berührte mich fast schon zufällig und schüchtern an meinem Innenschenkel und ich konnte nicht anders- wie von alleine öffnete ich meine Beine, so das ich, wenn auch noch angezogen, so aber doch bereits breitbeinig vor ihm saß. Er grinste. Mein Freund grinste. Ich zitterte. Aber nicht vor Angst, sondern vor Erwartung.
Denke ich heute an damals, weiß ich, dass er sich an meiner steigenden Erregung und meiner Erwartung ergötzte, bevor er irgendwann meinte, es sei besser, ich würde mir Pulli und Jeans ausziehen.
Wenig später stand ich völlig schutzlos vor ihm.
Er ließ sich ganz viel Zeit und heute weiß ich- das war nicht hart. Er schlug nicht hart zu, er kombinierte Schlag und über meine Haut streicheln in einem perfekten, sich abwechselnden Spiel miteinander, schlug höchstens zweimal hintereinander zu, bevor er meine gerötete Haut beruhigend streichelte.
So lernte ich an diesem Abend diese drei Schlaginstrumente kennen. Und ich lernte, was BDSM eben nicht bedeutet, zumindest nicht für mich. Mit ihm. In dieser Konstellation- reinkommen, ausziehen, gefesselt werden, Schmerzen erdulden, gevögelt werden. Er war angezogen als wir seine Wohnung betraten und war dies auch noch als wir gingen.
Er wurde irgendwann sanft und ich verlor komplett die Kontrolle über mich.
Mein Freund machte mehrere kleinere Videos mit dem Handy. Zwei davon habe ich noch. Und sie zeigen mir, wie ich schließlich auf dem Sofa liege auf dem ich Stunden zuvor noch saß, fast nackt, mit gespreizten Beinen, weil ich es wollte und nicht, weil ich gefesselt oder fixiert war, und wie er mich sanft, fast schon zärtlich zum Orgasmus streichelt. Ja, streichelt. Er bearbeitete mich weder mit einem Vibrator noch mit seinen Fingern in mir, er streichelte mich einfach. So, wie ich es tue, wenn ich mich befriedige.
Der Moment meines Orgasmus ist auf dem Video zu sehen. Ich weiß, dass ich völlig los gelöst bin. Von allen Ängsten, Sorgen und Bedenken und das ich nur noch fühle. Mein ganzes Sein ist nur noch fühlen. Nur noch dieser Moment, in einem Universum, dass ich erst kurz vorher entdeckte und zu dem mir die Tür geöffnet wurde. Ich erlebte das erste Mal, was es bedeutet, den Verstand los zu lassen, damit die Seele fliegen kann. Und ich flog. Ich genoss es. In dem Moment, in dem ich kam, schob er ganz sanft seinen Arm unter meinen Kopf und hielt mich. Nichts weiter. Er hielt mich einfach fest. Und ich fühlte mich geborgen.
Ich erinnere mich leider an nichts mehr, was zur fortgeschrittenen Stunde passierte bei ihm. Ich weiß nur noch, was ich fühlte. Und ich versuchte tagelang danach, dieses Erlebte zu Papier zu bringen. Doch es gelang mir nicht. Wie soll das auch gehen. Wie soll man einem blinden den tollsten Regenbogen erklären, wie einem Menschen mit Flugangst, wie frei man sich über den Wolken fühlt, wie einem Nichtschwimmer, wie schwerelos man im Wasser gleiten kann? Nichts was mir in den Sinn und auf Papier kam vermochte es auch nur annähernd, dieses erste Mal, dieses loslassen, fliegen und aufgefangen werden, zu beschreiben.
In diesen ersten Stunden bei meinem späteren Mann habe ich mich geöffnet und war verletzlich wie niemals zuvor in meinem Leben und doch war ich sicherer und stärker als je zuvor.

Blicke ich heute zurück auf meine Kindheit und Jugend, so sind da bereits in meiner frühesten Grundschulzeit Sequenzen und Momentaufnahmen in meinem Kopf, die ich heute sehr deutlich in die Richtung meiner Neigung einordne.
Früher wusste ich das nicht.
Früher wusste ich nicht, warum es mich schier wahnsinnig macht vor Anspannung und einem Glücksgefühl, wenn wir in der Schule in der Pause „Schlümpfe“ spielten. Wenn einer der böse Zauberer Gagarmel war, der versuchte, die Schlümpfe zu fangen und wenn er sie hatte mit einem festen Griff um den Oberarm in sein Haus brachte. Ich verstand nicht, warum mich dieses Gefühl des „Gefangen genommen werdens „und des „die Kontrolle abgeben müssens“ so tief berührte. So tief, dass ich selten länger wie zwei Minuten „frei“ war.
Lust, nein Lust empfand ich dabei nicht, nur ein sehr tiefes, zufriedenes, wohliges Gefühl.
Viele, viele Dinge wie diese tauchten in meinem Leben auf.
Viele, viele Filme, altersgerecht, die aber Szenen erhielten, die etwas in mir ansprachen. Und sei es auch nur so eine „Gefangen werden“ Szene.
Meinen absoluten Höhepunkt hatte ich in der Grundschule, als wir für eine Woche den Unterricht von früher nachspielten. Richtig, mit melden und aufstehen bevor man was sagt, mit der entsprechenden Ansprache der Lehrerin, in der Ecke stehen, wenn man etwas angestellt hatte und ja, auch mit einem Klaps mit dem Lineal auf die Hände. Auch wenn das so sanft war, dass es eher ein streicheln war.
Ich kann mich heute im Grunde nur noch an einzelne Momente in der Grundschule erinnern. Vom Stoff weiß ich gar nichts mehr (so das ich sagen könnte „in der x Klasse habe ich gelernt, dass....“). Aber ich weiß noch alles von dieser Woche. Von diesem Gefühl der Sicherheit, die mir diese klar strukturierten Regeln gaben, wie ich aufging in einer Welt, deren Rahmen plötzlich völlig sicher abgesteckt war. Du darfst, du sollst, denn sonst....
Ich habe mich diesem Gefühl und diesem Spiel so hingegeben, dass es sogar meiner Lehrerin auffiel, die normalerweise an mir zu bemängeln hatte, dass ich mich zu leicht ablenken lasse und zu schnell mit meinen Utensilien rumspiele. Das tat ich in dieser einen Woche nicht. Ich wollte gefallen und danach gelobt werden. Ich wollte nicht aufstehen müssen um geschimpft zu werden.
Und ich weiß noch, wie geknickt ich war, als diese Woche vorbei gewesen ist.
Diese klaren Strukturen brachen weg und es war mal mehr und mal weniger schlimm wenn man dies tat oder doch ließ. Es war die Zeit, in der auch Lehrer oft versuchten, Antiautoritär aufzutreten.

Es gibt noch mehr. Mehr Kleinigkeiten noch, die mir heute sagen- du bist okay so. Du BIST so!
Ich war schon immer so. Auch wenn ich das damals nicht wusste. Ob ich es nicht wusste, weil ich nicht wusste, dass diese Gefühle vielleicht „nicht normal“ sind oder weil ich einfach nur gar keinen Gedanken daran verschwendete, weil es mir nicht wichtig schien, weiß ich heute nicht mehr.
Allerdings war mir spätestens zu Beginn meiner Pubertät mit dem bewussten Erwachen meiner Fantasie völlig klar- da ist was anders wie bei meinen Freundinnen.
Seit Beginn meiner Pubertät war eine tragende Säule meiner Fantasie, die Verantwortung abzugeben in mehr oder weniger heftigen Beispielen.

Und dann lag ich plötzlich da, auf dem Sofa meines späteren Mannes und ich hatte es gefunden. Das war, als hätte das letzte Puzzleteilchen endlich an seinen Platz gefunden, das man so lange gesucht hatte. Als wäre man nach einer langen Reise endlich zuhause angekommen.
Es war wie fliegen.

Und es geht weiter.....


Autorin Helleschatten

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