Italien und BDSM – Sexuelle Schizophrenie verstehen

Originaltext des Autors in englischer Sprache

Von Ausländern wird Italien oft für ein unbeschwertes Land gehalten, dessen Volk das Leben, die Kunst und das schöne Wetter genießt, ohne sich allzu viele Gedanken zu machen. Tatsächlich aber ist Italien viel komplexer.

Dies gilt auch für den Bereich „Kink”, da das echte Italien so schizophren als möglich wird, sobald es um irgendetwas geht, das mit Sex zu tun hat.

Es erfordert eine kurze Geschichtsstunde, um die Gründe dafür zu verstehen und diese wird ihnen sehr dabei helfen, ihre Erfahrungen mit Land und Leuten besser einordnen zu können.

Es gibt drei Hauptfaktoren zu berücksichtigen.

1. Territorialität
Egal was die Karte sagt, Italien ist keine natürlich gewachsene Nation.

Jahrhundertelang war das Land zunächst in viele Feudalbesitztümer und danach in Regionen aufgeteilt. Während diese offiziell nur administrativen Zwecken dienen, durchdrang die Geschichte die Kultur, und bis heute stellt jede Region (manchmal sogar jede Provinz!) ihr sprachliches, kulinarisches und kulturelles Erbe noch über ihre Nationalität.

Italiener, besonders jene über vierzig, wachsen in diesem Geist der Trennung auf, und damit kommt es zu einem unfreiwilligen, immer noch sehr tief sitzenden Misstrauen „Fremden“ gegenüber, selbst wenn diese nur aus der benachbarten Region stammen.

Besonders offensichtlich wird dies zum Beispiel in der Debatte „Nord gegen Süd“.

Ohne jetzt näher darauf einzugehen, warum diese Teilung immer noch vom Staat unterstützt wird, das oben Erwähnte führt zu subtilen, anhaltenden Schwierigkeiten, Beziehungen zu Fremden aufzubauen, die über die übliche Höflichkeit hinaus gehen.

Mit diesem Wissen kann man viele scheinbar seltsame Macken nachvollziehen, die Schwierigkeit, Englisch sprechende Italiener zu finden, eingeschlossen.

2. Der Einfluss des Vatikans
Italiener witzeln häufig darüber, dass ihr Land eine Provinz des Vatikan-Staates sei, aber eigentlich ist das gar kein Witz.

Die katholische Kirche hat immer noch einen sehr starken Einfluss auf die nationale Politik und infolgedessen auch auf die italienische Kultur. Kaum eine Neuigkeit wird nicht von einem gewissen oder irgendeinem anderen Bischof kommentiert und die Medien versäumen nie, darüber zu berichten.

Ob sie es nun wollen oder nicht, deshalb sind Italiener ständig einer Beurteilung ihres Verhaltens durch Geistliche ausgesetzt. Wenn es um Sex geht bedeutet dies offensichtlich, dass die Menschen lernen, Sexualität als etwas grundlegend dreckiges, Verbotenes und sündhaftes anzusehen.

Über diese katholische Schuld hinweg zu kommen, ist nicht einfach – vor allem wenn „Kink“ ins Spiel kommt - also erwarte nicht, auf allzu viele Leute zu treffen, die „Kink-positiv“ eingestellt sind. Wieder einmal, der Schein trügt.

3. Der böse Mr. B
Jupp, wir reden hier über den Magnaten, ehemaligen Premierminister und berüchtigten Kriminellen Silvio Berlusconi. Bedauerlicherweise kann keine Diskussion über Italien geführt werden, ohne ihn zu erwähnen: unabhängig von den persönlichen Obsessionen seiner Kritiker und Anhänger, ist er tatsächlich der geistige Vater der gegenwärtigen italienischen Mentalität.

Seit nunmehr über einem Vierteljahrhundert, wurden 90% der italienischen Medien unter seiner Herrschaft monopolisiert, die auf dem altertümlichen römischen Motto „Brot und Spiele“ basiert (gib dem Volk einfach genug zu essen und verpasse ihnen eine Gehirnwäsche mit verrückten Shows, um einem Aufstand vorzubeugen und es besser kontrollieren zu können).

Mit anderen Worten, Italien hat vermutlich die am stärksten sexualisierten Medien der Welt: versuchen sie einmal, „veline” zu googeln, und bereiten sie sich auf den Schock darüber vor, was viele Italiener für ein ordentliches Nachrichtenprogramm halten.

Ja, sexuelle Bilder – zumindest der heterosexuellen Art – sind allgegenwärtig, aber dies hat den überraschenden Effekt der Desensibilisierung der Menschen und tötet jeden Sinn für

Erotik, von der Kommerzialisierung der Frauen ganz zu schweigen.

Da die meisten Bilder in der Werbung verwendet werden, werden nicht der Norm entsprechende Formen der Sexualität routinemäßig ignoriert, damit die alternden Konsumenten der Gesellschaft nicht vor den Kopf gestoßen werden (Italien hat nach Japan die zweitälteste Bevölkerung der Welt).

Das Fazit aus den Erklärungen oben ist, dass Italien kein sehr „kinky” Land ist, es sei denn, sie bekommen ihren persönlichen Kick durch das Liebäugeln mit Frauen mit geringem Selbstwertgefühl – oder einem unverhältnismäßigen oder ungerechtfertigten – und mit einem fragwürdigen Verständnis von Sexualität.

Dies ist jedoch natürlich eine Verallgemeinerung mit vielen glücklichen Ausnahmen, also sehen wir uns diese einmal an.

Online BDSM
Da ihr erster Kontakt mit italienischem BDSM vermutlich online stattfinden wird, seien sie besser gewarnt, dass in Italien zwei sehr verschiedene Szenen nebeneinander existieren: die Online-Szene und die Reale-Welt-Szene. Erstere ist ganz schön groß, mit so manchen interessanten und sehr aktiven Communities – und nimmt quasi nie ihre digitalen Eskapaden mit hinüber in die physische Welt.

Ja, Online-BDSM wird im Allgemeinen nur als eine Form von Realitätsflucht angesehen, das nie wirklich real ausgelebt wird.

Statistisch gesehen können sie davon ausgehen, dass wenn jemand online aktiv ist, er oder sie nicht vom PC wegzukriegen ist, auch wenn ihr Leben davon abhängen würde, ganz egal wie ausgefallen die Geschichten von ihnen im Internet gewobenen Geschichten auch sein mögen.

Nachdem dies gesagt wurde, natürlich gibt es Communities, die stärker in der Realität gründen als andere, und seien es nur gelegentliche Treffen für gemeinsame Abendessen.

Dies sind die wichtigsten URLs:

www.gabbia.com – Die größte BDSM Kontaktanzeigenseite, ist jedoch voll von falschen Anzeigen. Geben sie sich keine Mühe mit den unglaublich selbstbezogenen Foren, Gruppen und zusätzlichen Funktionen.

www.legami.org – Die größte Online Community. Die ernsthafte Diskussion von „Kink“ ist dort ein Wunder, obwohl sie dort eine reelle Chance haben Leute zu treffen, die auch tun was sie predigen – wenn sie sehr gut suchen.

www.fetlife.com – Natürlich. Seriöse Kinkster wanderten einst dorthin ab und umgehend wurden sie in einem Meer von Angebern und Verzweifelten, die nach leichter Beute suchten, ertränkt. Die Existenz mehrerer „offizieller“ Gruppen für BDSM in Italien auf Fetlife verdeutlicht die extreme Uneinigkeit der Italiener und erklärt, warum es noch keine einheitliche Szene gibt oder warum man anhand der Profilbilder nicht beurteilen kann, wer die realen Spieler sind.

www.ayzad.com – Lassen sie mich meine eigene Website in diese Liste aufnehmen. Ich schreibe über alle Arten von ungewöhnlichen Sexualitäten, pflege eine gründliche Ressourcen-/Quellenliste und einen Veranstaltungskalender über die BDSM Events, die ich für interessant genug halte.

Facebook – Nein. Ernsthaft: Denken sie nicht mal dran. Das ist das Gebiet der Ahnungslosen, mit hunderten von selbsternannten Profidominanten, die nicht einmal die einfachsten Dinge über BDSM wissen, und tausenden von schleimigen Profi-Zehennucklern, die einfach nicht verstehen können, wie ein erotisches Spiel nichtkommerziell und ohne Fick am Ende gespielt werden kann.

Professionelle Dominanz
Und hier ist der Kern, der soeben erwähnten professionellen Dominanz. Rein technisch ist professionelle Dominanz in Italien nicht illegal, sofern sie nur von einer einzelnen Person ausgeübt wird (deshalb sind Studios mit mehreren Herrinnen nicht möglich, zumindest nicht offiziell). Aber es gibt keine nennenswerte Kultur von kommerzieller Dominanz.

In meiner länger als 25 Jahren währenden Erforschung des BDSM, habe ich nicht mehr als fünf Dominas auf dem Level, der in anderen Ländern als Basis erwartet wird, kennen gelernt, denke ich.

Es gibt jedoch viele junge und nicht mehr so junge Frauen, die versuchen, Geld mit Fußfetischismus (und ein wenig mehr) zu verdienen; Mir wurde erzählt, dass die Qualität ihrer Leistungen und ihrer Ausstattung noch schlechter als miserabel sei, und nach dem was ich gesehen habe, klingt das sehr plausibel.

Clubs
Es gibt in Italien keinen festen BDSM Club, aber es gibt Swingerclubs, die BDSM Partys veranstalten – manche davon finden nun regelmäßig seit über einem Jahrzehnt statt. Im Augenblick ist hier der unangefochtene Marktführer der „Nautilus“ Club in Mailand, welcher neben anderen kinky Veranstaltungen meine eigene monatliche Nachmittagsparty www.sadistique.com und die „Ultimo-Luned“ Nachtparty veranstaltet.

Die andere richtige BDSM Party ist www.lareginanera.it und findet einmal im Monat in Bologna statt. Möglicherweise möchten sie auch die www.fetishnight.eu in Misano an der Adriaküste ausprobieren.

Wenn ich „richtig“ sagte, tat ich das, weil viele italienische Sexclubs Pseudo-Kinky-Nächte veranstalten, die normalerweise aus einer kleinen Ecke für schräge Typen bei einer normalen Swingerparty bestehen, oder aus mit PVC bekleideten Prostituierten, die halbherzig nach Schwachköpfen suchen, die sie dafür bezahlen, an ihren Schuhen lecken zu dürfen.

Bitte beachten sie, dass Discos (ja, sie existieren hier noch) häufig Werbung für „Fetisch-“, „Kinky –„ oder „Perverse“ Nächte – aber dort gibt es nur Gogo-Tänzerinnen im Fetischoutfit, da das Gesetz Handlungen, die gegen die guten Sitten verstoßen, in der Öffentlichkeit verbietet, und öffentlich sind diese Discos nun mal.

Mit anderen Worten, sofern sie sich auf solch einem Event wieder finden, denken sie daran, kein BDSM zu praktizieren sowie keine Handlungen sexueller oder exibitionistischer Art vorzunehmen, da sie ansonsten Gefahr laufen, sehr hohe Strafen zu erhalten.

Zu guter Letzt ist es auch wichtig zu wissen, dass Italiener gewöhnlich das Wort „Fetisch“ als „Fußfetisch“ verstehen: Vergewissern sie sich deshalb bei den Organisatoren, bevor sie von Kopf bis Fuß in Latex gekleidet erscheinen und sich von echten Partialisten (Menschen, die durch einen bestimmten Teil des Körpers sexuelle Erregung empfinden, Anm. der Übersetzerin) umgeben wiederfinden

Munches (BDSM Stammtische) und Treffen

Die BDSM Stammtisch Szene in Italien ist sehr lebhaft, zumindest in Mailand und Rom, wo sich viele Gruppen regelmäßig auf einen Drink und zum Plaudern treffen. Diese Stammtische und Treffen tauchen auf, verschwinden und verändern sich sehr oft. Deshalb empfiehlt es sich, die regelmäßig aktualisierte Miniliste zu Rate zu ziehen.

Diese finden sie auf der Seite fetlife.com/groups/3189/group_posts/2079778 im Bereich „Eventi & Feste“ der Seite www.legami.org. Die üblichen sozialen Verhaltensregeln für BDSM Stammtische und Treffen sind dort anzuwenden.

Weitere Anmerkungen
Schließlich sind hier noch ein paar Fakten über die italienische BDSM Szene, die sie interessieren könnten:

  • Homosexuelle und Heterosexuelle vermischen sich niemals. Keiner weiß warum, aber die Ehemaligen finden die (sehr kleine!) BDSM Schwulenszene zu sexorientiert.

  • „Italiener können es besser.“ Zumindest besser, als die meisten Europäer. Italien hat vielleicht nicht viele BDSM Livestyler, aber jene, die tatsächlich Spielen und an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, kennen ihren Kink sehr gut und spielen sehr intensiv.

  • „Es gibt keine nennenswerte Fetisch Szene.“ Zwar gibt es Italiener in Latex- und Fetischbekleidung, aber es gibt weder regelmäßig stattfindende Partys, noch einen Fachhandel, deshalb besuchen echte Enthusiasten lieber ausländische Veranstaltungen.

  • „Aus Kindern werden Leute.“ In den letzten Jahren hatte BDSM in Italien einen riesigen Zulauf von sehr jungen Menschen, deren positivere, sozialere (und häufig rücksichtslosere) Sicht auf Kink die ganze Szene verändert. Sie neigen meist dazu, sehr unstrukturiert zu spielen und zerstören damit teilweise die mystische Erotik des ganzen, aber sie bringen auch sehr viel Schwung in die Angelegenheit.

Autor Ayzad

Du bist nicht angemeldet.
 Einloggen / Registrieren