Fallen lassen

Meine gesamte Sexualität litt lange unter der Problematik des Sich-Fallen-Lassens. Mit Anfang 20 begegnete ich zwei dominanten Männern, ohne es zu wissen. Sie reagierten blitzschnell, sodass ich keine Zeit hatte, groß darüber nachzudenken, ich ließ mich führen und konnte mich auch beim Sex fallen lassen. Beide waren aber menschlich eher eine Enttäuschung.

Ein paar Jahre später lernte ich meinen Mann kennen, mit dem ich mittlerweile seit 10 Jahren zusammen bin.

Der Sex in unserer Beziehung war immer schön, keine Frage. Allerdings war es immer schwierig für mich, los zu lassen und mich fallen zu lassen. Er versuchte mir zu helfen, indem er meine Handgelenke fesselte, mir die Augen verband und mir so ermöglichte, mich einzustimmen, auf meinen Körper und in mein Innerstes zu horchen. Einfach mal nur Fühlen und den verdammten Kopf ausschalten! Diese Vertrauens-Spiele brachten mir besondere Momente, die mich zu Tränen rührten. Momente, in denen unser Sex so intensiv war, dass ich mich mehr und mehr danach sehnte.

Trotzdem blieb eine innere Blockade in mir zurück und es kostete uns immer wieder viel Arbeit, diese erneut zu überwinden, damit ich unbeschwert genießen und mich fallen lassen konnte.

Aus Liebe habe ich dieses Problem zunächst einmal sehr lange verdrängt und als nicht so gravierend erachtet. Mit Anfang 30 jedoch, begann ich meine Sexualität zu überdenken. Ich fragte mich: „Was blockiert mich so sehr? Und was fehlt mir eigentlich?“. Ich beobachtete unser Sexualverhalten genauer und stellte fest, dass es mir besonders viel Sicherheit gab, wenn er mich beispielsweise durch seinen Körper und seine Hände fixierte, mich „zwang“ still zu halten und es zuzulassen. Ich fühlte mich dabei geborgen, gehalten und vor allem sicher.

Ja, auch ich bin auf einen dieser Mainstream Romane gestoßen und las ihn. Und nein, es war nicht Shades of Grey, aber ein anderer Roman aus demselben Genre. Ich war fasziniert von vielen Bereichen des Romans und las dann meinem Mann einige Textstellen vor. Letztendlich las er den Roman sogar mit.

Daraufhin haben wir uns ein Fessel-Set und einen Flogger bestellt und ganz klein angefangen. Wir begannen mit einfachen Fesselungen am Bett, und leichten Schlägen mit dem Flogger. Die Fesselung gab mir unheimlich viel Ruhe und Sicherheit, welche sich danach durch Stolz und Stärke zeigte, weil ich nun bereit war, mich auszuliefern und fallen zu lassen. Die Schläge hatten eine elektrisierende Wirkung auf meinen gesamten Körper, sobald ich dieses leichte Brennen spüren konnte, das nach und nach wieder verschwand. Der Sex wurde immer emotionaler und intensiver.

Danach war ich erstmals eine ganze Weile überfordert mit meinen neuen Eindrücken und Erkenntnissen über mich selbst.

Also nutzte ich das Internet und begann zu lesen, dabei habe ich vieles über mich herausgefunden.

Fantasien schwirrten in meinem Kopf herum, wie zum Beispiel erniedrigt zu werden, geschlagen zu werden, vor ihm zu knien, ja sogar von ihm erzogen und geführt zu werden, mich ihm zu schenken und ihm all meine Gefühle durch Hingabe zu zeigen. Ich sehnte mich nach so viel mehr.

Ich war schon ein bisschen verzweifelt, weil ich nicht wusste wie ich ihm vermitteln sollte, wonach ich mich sehnte. Ich konnte ja schlecht sagen: „Schatz, ich möchte mich dir unterwerfen und ich will, dass du mein Dom/Herr wirst.“

Also zeigte ich ihm die Gentledom Seite und wir meldeten uns beide an. Ein paar Tage später meldete ich mich im Forum an und er folgte mir.

Nach und nach konnte ich mein Verlangen einordnen und verstehen, was meine Sehnsüchte genau bedeuteten. Ich wollte dieses Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Hingabe. Ich wollte mich ihm schenken, weit über die Sexualität hinaus.

Dabei machte ich einen wundervollen Klischee-Fehler: ich erwartete, dass er von sich aus anfangen würde, mich zu dominieren und ich lastete ihm die ganze Verantwortung an. Das wir jedoch eine jahrelange Beziehung ohne Machtgefälle und mit „normalem“ Sex gelebt hatten, hatte ich völlig aus dem Blick verloren.

Ja ich weiß, meine unausgesprochene Forderung: „Er ist Dom, er muss jetzt dominieren.“ war ganz schön naiv.

Erst viele Gespräche im Chat und viele Threads haben mir nach und nach die Augen geöffnet, dass ich mich zunächst einmal ihm gegenüber devot gegenüber verhalten musste, ich ihm sozusagen erst einmal die Macht über mich in seine Hände legen musste, damit er „Dominanz“ überhaupt ausleben kann.

Als ersten Schritt auf dem Weg zu einer stabilen Basis setzten wir ein Sessiontagebuch ein, damit er meine Gedanken nachlesen konnte. Er erfuhr und erfährt auch heute noch dadurch, was mir gefallen oder nicht so gefallen hat und womit er mich „quälen“, belohnen oder bestrafen kann. Daraus ergab sich ein wundervolles Repertoire an Auswahlmöglichkeiten für ihn. Das Schöne daran ist, dass ich so meine geheimen Wünsche an ihn richten kann, ohne aus ihm einen „Wunschlisten-Dom“ zu machen. Es bleibt ihm überlassen, was er mir vielleicht irgendwann davon zukommen lässt. Außerdem hat es ihm sehr viel Mut und Sicherheit gegeben, Dinge auszuprobieren.

Im weiteren Verlauf wurde mir klar, dass auch er sich umstellen musste. Hatte ich doch Jahre zuvor noch Blockaden innerhalb der Sexualität, musste ich ihm jetzt beweisen, dass ich nun bereit für ihn bin. Dass BDSM mich befreit, meine Blockaden einreißt und mich wachsen lässt, dass er mir vertrauen kann, dass ich ihn und seine Handlungen zulasse. Also mich von ihm mit allen Konsequenzen „dominieren“ lasse.

Wir haben unzählige Gespräche geführt.

Nun ja, auch er musste sich zunächst einmal in seiner Rolle zurechtfinden. Doch nach einiger Zeit erlebten wir gemeinsam eine Session, die einen wirklich symbolischen Charakter für uns hatte. In dieser Session fragte er mich: „Du willst also, dass ich dich dominiere? Bist du bereit, die Konsequenzen zu tragen?“ Alles in mir schrie „JA“ und ich antwortete: „Ja mein Herr.“

Seitdem hat sich viel bei uns verändert. Ich habe ihn noch nie so authentisch, fordernd, bestimmend und glücklich gesehen. Denn auch er lässt sich fallen und ist bereit, von mir einzufordern was er für richtig erachtet, sich von mir seine Wünsche erfüllen zu lassen, mich dabei zu führen und vor allem, meine freiwillige Unterordnung als kostbares Geschenk anzunehmen, zu akzeptieren und mit aller Wertschätzung und Anerkennung zu belohnen.

Seitdem ist unser gegenseitiges Vertrauen unglaublich gewachsen, ich fühle mich sicher, wohl und glücklich damit. Wir können uns beide fallen lassen und es ausleben.

Viele D/s Elemente haben wir inzwischen sogar in den Alltag eingebaut, weil es uns beiden Nähe gibt.

Ich tue heute Dinge unglaublich gerne, die ich früher nicht leiden konnte. Ich habe jede Menge persönliche Grenzen überwunden, und sogar aufkeimende Ängste wieder abgebaut. Durch das Zulassen meiner Sehnsucht, ihm gegenüber devot zu sein, haben sich viele Widersprüche in mir vereint und dadurch aufgehoben. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich vollständig. Erst dieses Vereinen und Zulassen haben ihn in die Lage versetzt, mich zu führen.

Unsere Beziehung ist seitdem noch inniger und noch intensiver geworden, da wir uns sehr viel mehr mit uns selbst auseinandersetzen, genauer auf den anderen achten und viel bewusster und achtsamer miteinander leben.

Es fühlt sich richtig an, weil wir uns nun endlich beide richtig beieinander angekommen fühlen.

Ich möchte noch einmal alle Paare ermutigen, die vorher kein BDSM lebten, dies nun aber für sich entdeckt haben, sich nicht abschrecken zu lassen von den gängigen Rollenklischees, was angeblich gute Doms oder gute Subs ausmacht.

Darüber haben wir als Paar viel zu lange nachgedacht, anstatt einfach auszuleben was uns gefällt und uns gut tut. Macht euch frei vom Schubladendenken und genießt eure BDSM Elemente. Findet gemeinsam heraus, was euch gefällt. BDSM ist so facettenreich und bunt, macht euch also keine Gedanken, ob es per Definition nun dies oder das ist, malt eure Welt nach euren Wünschen und Sehnsüchten bunt und nicht schwarz weiß.

BDSM ist eine wunderbare lange Reise der Entwicklung, und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich dies in meine Ehe integrieren kann. Nach 10 Jahren Beziehung habe ich immer noch eine unglaubliche Sehnsucht nach meinem Mann, die ich nun durch D/s Elemente und Sessions zutiefst erfüllt bekomme. Auch dafür bin ich sehr dankbar.

Das Schönste ist, dass wir noch eine lange, spannende Reise vor uns haben, weil wir noch relativ am Anfang stehen.

 

Verfasserin ist weiblich und 33 Jahre alt

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