Die Lust verliehen zu werden

Was meine Sexualität angeht, gehöre ich eindeutig zu den Spätentwicklern. Zumindest, was meine Öffnung hin zu dem Bereich angeht, den wir allgemein als BDSM bezeichnen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass meine eigene Sexualität, die Freiheit, sowohl auf meine inneren Triebe, meine Lust und Unlust als auch auf meine tief verborgene Neigung zu hören, erst im zarten Alter von 40 anfing. Aber wenn man wie ich zu einer Zeit geboren und aufgewachsen ist, in der Sexualität bestenfalls hinter verschlossenen Türen stattfand und Aufklärung trotz Kolles Bemühen noch in den Kinderschuhen steckte, ist es kein Wunder, wenn man vor den eigenen Trieben und Gedanken zurückschreckt.

Dabei hatte ich es sogar noch ganz gut getroffen und war mit Eltern gesegnet, mit denen ich über das eine oder andere ganz offen reden konnte. Dennoch blieben meine heimlichen und wilden Gedanken etwas, das ich mit niemandem teilte. Es gehörte sich ganz einfach nicht. Das, was ich in manchen Nächten träumte, stand jenseits von Gut und Böse und gehörte einfach nicht zum Gedankengut einer gutbürgerlichen Erziehung. Vielleicht habe ich deshalb so viele Jahre dazu gebraucht, um mir einzugestehen, dass ich eine submissive Seele besitze, die die Sexualität unter dem „Joch der Unterdrückung, der Demut und des Ausgeliefertseins“ als höchst erotisch und befriedigend empfindet.

Es ist ja nicht nur, dass mir ganz bewusst wurde, welche Art von Sexualität ich in Zukunft ausüben wollte. Was viel einschneidender und für mich anfänglich unfassbarer war, waren meine dazugehörenden sexuellen Wünsche und Phantasien. Bis dahin waren es lediglich nächtliche Träume, die weder mich noch mein Leben beeinflusst hatten. Nun nach meinem inneren Outing sollten sich meine Phantasien natürlich erfüllen.

Eine meiner vorrangigsten Phantasien war das ausgeliehen Werden. Schon in frühester Jugend war mein schönster sexueller Traum der, wenn ich nackt und hilflos anderen Männern nur zu dem einen Zweck der Erfüllung ihrer sexuellen Wünsche ausgeliefert wurde.

In meiner Phantasie gab es natürlich immer einen sehr männlich aussehenden und überaus dominanten Partner, der zwar immer gesichtslos, doch dennoch niemals ein Fremder war. In gewisser Weise war er der Inbegriff dessen, was ich ersehnte. Und natürlich immer der Auslöser für meine ausschweifenden Phantasien. Es dauerte lange, bis ich mir auch hier eingestand, dass es meine eigene Lust war, die aus mir sprach.

Im Allgemeinen geht die Mehrzahl derer, die sich dem BDSM verschrieben haben, davon aus, dass in jeder guten und ehrlichen submissiven Seele auch der Wunsch lebt, gewisse sexuelle Handlungen nur aus dem einen Grund über sich ergehen zu lassen, ihrem Herrn zu gefallen, ihm zu gehorchen und für ihn gewisse Qualen und Demütigungen zu erleiden.

Ich hingegen glaube, dass es keinen noch so dominanten Mann geben kann, der eine submissive Seele dazu bringt gewisse Dinge zu tun, wenn nicht selbst in ihr gewisse Wünsche, Vorstellungen und Phantasien bereits schon vorhanden sind. Schlussendlich springt auch niemand von einer Brücke oder wirft sich vors nächste Auto, nur weil es der eigene Herr so will.

Somit ist derjenige, der mich als devot veranlagte Frau durch seine erworbene oder von Natur aus gegebene Dominanz dazu bringt, mich bestimmten sexuellen Handlungen hinzugeben, meine bestmögliche Entschuldigung für meine ausschweifenden sexuellen Wünsche. Als submissive Frau kann ich mich guten Gewissens und frei von Scham und Hemmungen der Illusion hingeben, dass ich es nur deshalb tue, weil mein Herr es möchte und von mir erwartet. Doch hinter jedem Tun steckt auch der Wille, es tun zu wollen.

Insofern ist das Ausleihen an einen anderen Herrn oder sogar mehrere Herren nichts anderes als ein willkommenes Alibi für meine ausschweifende Lust und Begierde. Die Frage, warum ich es tun will und dennoch ein Pseudo-Alibi dafür benötige, ist gar nicht so schwer zu erklären.

Zum einen kommt das Ausleihen meiner frühpubertären Phantasie sehr nahe. Außerdem schützt es mich persönlich davor, mich für mein Tun schämen zu müssen. Meine Gewissenbisse und meine moralischen Bedenken und die damit einhergehende Selbstachtung nehmen somit keinen großen Schaden. Meine Erziehung, Herkunft und mein derzeitige Lebensweise würden hingegen diese Phantasie von vornherein verbieten.

Warum mag ich mich gerne anderen hingeben und mich ausleihen lassen?

Nun, auch das hat ganz profane Gründe. Erstens kann ich der Hure in mir, meiner zutiefst verdorbenen dunklen Seele, ein Gerüst verleihen, das mich stützt und mir hilft, mein Gesicht zu bewahren. Zusätzlich bietet dieses Ausleihen mir die Möglichkeit, genau das zu tun, was ich seit frühester Jugend gewollt habe: Mich schamlos anzubiedern und mich benutzen zu lassen, wie es denen, die mich benutzen gefällt.

Ohne Hemmungen und ohne Schuldfrage kann ich in eine Rolle schlüpfen, die es mir ermöglicht, meiner eigenen Phantasie nachzukommen. Außerdem bietet mir das Ausleihen genug Raum für weitere und vielleicht noch schamlosere sexuelle Phantasien. Indem mich mein Herr ausleiht, kann ich mich anderen hingeben, ohne ihm gegenüber Schuldgefühle in Hinsicht des gedanklichen oder praktischen Betrügens zu entwickeln. Ich tue es, weil er es will und trotz des Alibis dennoch für mich selbst. Das Ausleihen fördert meine Lust, gibt mir in gewisser Weise auch sexuelle Bestätigung – was für mein Wohlbefinden und nicht nur im Kontext als submissive Frau sehr wichtig ist.

Es tut mir einfach gut. Es nährt meine Gedanken mit neuer Phantasie und lässt meinen Puls höher schlagen. Es tut gut, mich im Namen meines Herrn anderen hingeben zu können, dabei auch noch Lust empfinden zu dürfen, ohne letztendlich die Konsequenz einer Mitschuld am eigenen Tun zu empfinden. Es ist ein Spiel, das mir gefällt, mich anmacht und mich auf ungeahnte Weise bis in die Fingerspitzen erregt.

Ich gebe zu, manchmal ist es ein Spiel mit sehr unbekannten Variablen. Vielleicht aber macht das genau seinen besonderen Reiz aus. Nicht zu wissen, was passiert, und vor allen Dingen auf welche Weise und mit wem. Wobei ich hier einräumen möchte, dass das Ausleihen, wenn es dann passiert, niemals mit wirklich Fremden geschieht.

Meist passiert es im Rahmen einer Session mit mehreren Paaren. Manchmal kann es auch sein, dass ich an einen befreundeten Herrn ausgeliehen werde, dem ich ebenso vertraue und so gut kenne wie meinen Herrn. Ich bin ja nicht lebensmüde oder gebe mich bewusst eine nicht kalkulierbaren Gefahr hin.

Selten passiert dieses Ausleihen während einer Veranstaltung, wie der „Kunst und Sünde“, oder der „Sub Noctem“, um nur zwei von vielen Veranstaltungen zu nennen. Hin und wieder fahren wir auch ganz bewusst zu einem der O-Abende oder anderen Veranstaltungen, wo es dann wirklich nur darum geht, als Sub zu dienen, zu gehorchen und dies nicht nur seinem eigenen Herrn. Vor Jahren kamen wir somit in den Genuss, unserer sexuellen Leidenschaft gleich ein ganzes Wochenende zu frönen.

Dennoch bleibt es ein Ausleihen. Egal wo es stattfindet und mit wem. Selbst dann, wenn der eigene Herr zugegen ist und die Handlungen kontrolliert oder maßgeblich mit inszeniert. Es hat seinen besonderen Reiz, einem anderen gehorchen zu müssen, während der eigene Herr zusieht. Sich Handlungen hinzugeben, die nicht immer ohne ein gewisses Schamgefühl und aufkommende Hemmungen ablaufen, und die man womöglich sonst nie erfahren hätte, hat etwas Spannendes und Erregendes an sich.

Schlussendlich nimmt ein fremder Herr, selbst dann, wenn man ihn gut kennt, auf gewisse Befindlichkeiten weniger Rücksicht als der eigene. Einem Fremden fällt es leichter, die Sub während eines Spiels als Miststück, Hure und geiles Fleisch zu bezeichnen Als Sub – und diese Erfahrung habe ich immer wieder machen dürfen – ist man seinen inneren Dämonen niemals wieder so nahe wie während eines solchen Spiels.

Der Schutz der vorhandenen Liebe, Nähe und Vertrautheit fehlt. Es gibt keinen doppelten Boden, keinen Schutzraum in dem man sich zurückziehen kann, und es gibt auch keine Ausflüchte …

Es gibt nur noch das gemeinsame Spiel, das Geben und Nehmen. Als Sub darf und kann ich das sein, was ich sein will, und erfahre Handlungen, die mein eigener Herr mir vielleicht nicht geben kann oder will. Denn obwohl wir uns als SM-Paar verstehen, sind uns aus Gründen der Liebe, gegenseitiger Rücksichtnahme und Nachsicht oder ganz einfach des nicht Könnens und Wollens gewisse Praktiken und Handlungen oder Behandlungen unmöglich.

Das Ausleihen ist und bleibt für mich daher eine wundervolle, höchst erotische Möglichkeit, mich in vollen Zügen, ganz bewusst und aus freien-unfreiwilligen Stücken meiner Lust hingeben zu können.

Autorin: brianna

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